Frage der Woche - Archiv
Stress als Ursache von MS? (Teil 1)
Niemand behauptet, dass Stress die Ursache der MS ist. Aber er kann ein wichtiger auslösender Faktor sein. Der Stress ist einerseits ein hochbedeutsames Konzept, das aus dem modernen medizinischen Denken nicht mehr wegzudenken ist, andererseits ist es so vage, dass jeder alles hinein interpretieren kann. Was Stress ist, ist so schwer fassbar wie die Umweltverschmutzung oder die Klagen über den Verfall der bürgerlichen Tugenden. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Stress etwas Positives und Lebensnotwendiges ist. Ein Knochen, der nicht belastet wird (das heißt, unter Stress steht), wird entkalken und brüchig werden, ohne Stress wird unsere Muskulatur schwach, und wenn jemand keine Probleme mehr zu lösen hat, dann werden seine kleinen grauen Zellen im Gehirn verkümmern.
Unter gewissen Umständen kann der Stress jedoch ins Negative umschlagen, zu einem lebensfeindlichen Prinzip werden und unsere Gesundheit gefährden. Leider sind diese Umstände bei jedem Menschen anders. Man kann unter einer extremen körperlichen Belastung stehen wie nach dem Kriegsende die Trümmerfrauen. Sie fielen abends todmüde ins Bett, aber kaum jemand wurde krank. Im Gegensatz dazu kann der Stress von außen gar nicht erkennbar sein, wenn jemand im Alltagstrott immer pünktlich um 8 Uhr in sein Büro geht, Tag für Tag dasselbe macht, aber unter der Trostlosigkeit und den Launen und den verletzenden Bemerkungen seines Chefs leidet. Nichts Spektakuläres, aber er wird immer häufiger krank. Als Faustregel gilt: Alles, was Spaß und Sinn macht, ist kein negativer Stress.
Aber auch Schicksalsschläge können sehr unterschiedliche Auswirkungen haben. Jemand kann seine Mutter und kurz darauf den Vater, vielleicht sogar das eigene Kind verlieren, und er oder sie bleibt gesund. Ein anderer wird krank, wenn die Tochter in der Schule sitzenbleibt. Vieles spielt dabei ein Rolle, nicht zuletzt die Geborgenheit eines Menschen in seinem religiösen Glauben.
Der Mensch neigt dazu, Gründe zu finden, auch wenn es keine gibt. Er sieht Gesichter oder ein springendes Pferd in den Wolken. Er sucht nach Ordnung in einer Welt, die ihm sonst unheimlich und chaotisch erscheinen würde. All dies ist wahr, reicht aber nicht aus, den Stress als verzweifelte Suche nach Struktur selbst dort, wo keine ist, abzutun. Es gab in der Vergangenheit eine Reihe von Studien, welche einen Zusammenhang zwischen Stress und Schüben nachzuweisen schienen, und ebenso viele, die ihn widerlegten. Erst jetzt ist deutlich geworden, dass allen diesen Untersuchungen ein systematischer Fehler zugrunde lag.