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MS-Forum Dr. Weihe

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Frage der Woche - Archiv


Was besagt die Optikusneuritis-Studie?

Die größte Befürchtung beim Auftreten einer Sehnerventzündung (Optikusneuritis) ist es, das Augenlicht zu verlieren, weil man nicht oder zu spät Cortison bekommen hat. Es gibt wenige Aussagen, die in der Neurologie so eindeutig sind: Niemand riskiert das Augenlicht, wenn eine Sehnervenentzündung nicht mit Cortison behandelt wird!

Das ergibt sich eindeutig aus der "Optikusneuritis-Studie" von Beck (Beck RW et al: A randomized controlled trial of corticosteroids in the treatment of acute optic neuritis. N Engl J Med 326:581, 1992): Die Sehfähigkeit ein Jahr nach der Sehnervenentzündung ist völlig unabhängig davon, ob diese mit Cortison behandelt worden ist oder nicht. Man kann also auch bei der Sehnervenentzündung erst einmal abwarten, ob sich nicht von selbst eine Besserung einstellt. Eine Gefahr im Verzuge besteht nicht.

Ende der 80er Jahre wurde die 'Optic Neuritis Study Group' gegründet, zu der Ärzte aus fünfzehn großen amerikanischen Kliniken gehörten. Als Hauptziel hatten sie sich gesetzt, den Einfluss von Cortison auf die Sehnervenentzündung nach strengsten wissenschaftlichen Kriterien zu untersuchen. Die Ausgangssituation war, dass niemals eine überzeugende klinische Studie vorgelegt wurde, welche die günstige Wirkung von Cortison belegt, obwohl Cortison etwa seit 1960 bei der Sehnervenentzündung und der MS Anwendung findet.

1992 wurden die ersten Ergebnisse im New England Journal of Medicine veröffentlicht. Sie waren enttäuschend. Die hochdosierte intravenöse Pulstherapie mit Cortison (250 mg Methylprednisolon alle 6 Stunden über 3 Tage), gefolgt von oralem Cortison über 11 Tage beschleunigte zwar die Wiederherstellung der Sehfähigkeit, verbesserte aber nicht den Grad der Rückbildung. Anders gesagt: Ein Jahr nach einer Sehnervenentzündung sahen die Patienten, die Plazebo bekommen hatten, genauso gut wie die Patienten, die mit Cortison behandelt worden waren. Überraschenderweise ergab sich, dass Patienten, die allein orales Cortison erhalten hatten, eine erhöhte Rate von neuen Attacken einer Optikusneuritis auf demselben Auge aufwiesen. Das bestätigte die Befürchtung, unter Cortison könnte die Abheilung des Entzündungsherdes zu überstürzt erfolgen, zu einer minderwertigen Narbenbildung führen und der Grund dafür sein, dass es immer wieder zum Aufflackern von alten Herden komme.

Ein Jahr später wurde die zweite Untersuchung der Optikusneuritis-Studiengruppe mit der Fragestellung "Kann eine rechtzeitige hochdosierte Cortisonbehandlung den Ausbruch einer MS verhindern?" vorgelegt. Dahinter steckte der folgende Gedankengang: Eine MS beginnt häufig mit einer Sehnervenentzündung. Wenn man diese sofort und konsequent behandelt, könnte es möglich sein, den gerade eben beginnenden Krankheitsprozess zum Stillstand zu bringen, so wie man einen Schwelbrand unter Kontrolle bringen kann, wenn man ihn rechtzeitig erkennt und löscht. Es wurde untersucht, wieviel Prozent der Patienten mit einer Optikusneuritis innerhalb von 2 Jahren eine klinische sichere MS entwickeln. Dabei wurden drei Gruppen unterschieden: 134 Patienten bekamen eine hochdosierte Infusionstherapie mit Cortison, 129 Patienten bekamen orales Cortison und 126 Patienten Plazebo.

Das Ergebnis: Eine klinisch sichere oder wahrscheinliche MS innerhalb von 2 Jahren trat in der hochdosierten Cortisongruppe bei 13.5% auf, in der oralen Cortisongruppe in 24.0% und in der Plazebogruppe in 20.9%.

Neue Attacken einer Optikusneuritis waren in der hochdosierten Cortisongruppe in 13.4% aufgetreten, in der oralen Cortisongruppe in 30.2% und in der Plazebogruppe in 15.9%.

Das Ergebnis wurde so interpretiert, dass eine hochdosierte intravenöse Cortisontherapie das Risiko, dass sich eine MS in den anschließenden zwei Jahren entwickelt, deutlich reduziert und somit der Übergang in eine chronische Erkrankung verzögert würde. Eine befriedigende Erklärung, warum Cortison hochdosiert schützt, niedrig dosiert den MS-Verlauf ungünstig beeinflusst, fand sich nicht.

1994 und 1997 erschienen die bislang letzten Studien aus der Optikusneuritis-Studiengruppe: Nach drei und fünf Jahren hatten sich die Unterschiede in den drei Gruppen ausgeglichen(Optic Neuritis Study Group: Neurology 49 (1997) 1404-1413). Der Übergang in eine klinisch sichere MS konnte also höchstens verzögert werden. In Erinnerung ist von diesen Studien nur die zweite geblieben. Sie wird immer noch häufig von Ärzten zitiert, um die Wirksamkeit von Cortison bei der MS zu belegen.

Was ist also bei diesen sehr aufwendigen wissenschaftlichen Untersuchungen herausgekommen, die immerhin an 457 Patienten über nahezu zehn Jahre durchgeführt worden sind?

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