Frage der Woche - Archiv
Was ist das Besondere an Rückenmarksherden?
In alten Lehrbüchern wurde die MS noch unter den Erkrankungen des Rückenmarks abgehandelt. Tatsächlich ist das Rückenmark eine bevorzugte Lokalisation der MS-Herde. Da dieses Thema heutzutage etwas zu kurz kommt, möchte ich in dieser Frage der Woche kurz darauf eingehen.
Rückenmarksherde sind aus zwei Gründen problematisch:
- Das Rückenmark ist nicht viel dicker als ein Finger. Wichtige Nervenbahnen sind hier auf engstem Raum zusammengedrängt. Darum kann auch eine kleine Läsion zu erheblichen Ausfällen führen ("klein, aber gemein").
- Die MS-Herde im Halsmark sind spindelförmig und liegen oft genau an der Mittellinie. Sie sind sehr labil und neigen dazu, bei Wetterumschwung, Stressbelastungen oder aus unerfindlichen Gründen wieder aktiv zu werden. Das heißt, in dem vernarbten Herd befindet sich eine Restentzündung, die ab und zu wieder aufflackert. Wenn sich dann erneut ein Umgebungsödem ausbildet, kann es in mehr oder weniger großem Ausmaß auf die Gegenseite übergreifen. In der Praxis bedeutet das, dass Herde im Halsmark mal Sensibilitätsstörungen in den Beinen, mal in den Händen, mal mehr links, mal mehr rechts bewirken können. Sogar eine Schwäche in beiden Beinen ist möglich. Man kann dann meinen, es handele sich jedes Mal um Symptome, die auf einen neu entstandenen Herd zurückzuführen sind, während in Wirklichkeit nur ein alter Herd nicht zur Ruhe kommt.
Es gibt zwei typische MS-Symptome, die im Zusammenhang mit Rückenmarksherden auftreten:
- Das Lhermittsche Zeichen
- Das "Korsettgefühl"
Beim Lhermitteschen Zeichen handelt es sich um elektrisierende Schmerzen in der Halswirbelsäule, die durch das Beugen des Kopfes nach vorn provoziert werden können. Ursache ist in aller Regel ein Entzündungsherd im Halsmark, wobei der entzündliche Prozess die Rückenmarkshaut mitbeteiligt. Diese wird beim Vornüberbeugen des Kopfes etwas gespannt und reagiert mit stromstoßartigen Schmerzen. Da die Liquorpunktion im Frühstadium der MS oft noch keinen pathologischen Befund ergibt, sollte der nächste diagnostische Schritt die Kernspintomographie der Halswirbelsäule sein.
Das "Korsettgefühl" wird von manchen als Eingeschnürtsein (wie von einem zu engen Korsett), von anderen als "Reifen um die Brust" beschrieben. Oft betrifft es nur eine Körperhälfte. Um dasselbe Phänomen handelt es sich, wenn berichtet wird, der Unterschenkel sei "wie in einem Schraubstock" eingezwängt, oder eine Hand stecke in einem unsichtbaren Handschuh, der zu klein sei.
In jedem Fall beruhen diese Missempfindungen auf einem Herd im Rückenmark. Wenn die Hand betroffen ist, liegt er im Halsmark (und ist dann oft auch von dem Lhermitteschen Zeichen begleitet), wenn sich der "Ring" in Höhe des Bauchnabels befindet, im Brustmark, und wenn die Haut des Unterschenkels zu eng zu sein scheint, im Lendenmark.
Sowohl das Lhermittesche Zeichen als auch das "Korsettgefühl" sind Symptome des frischen Schubes. Sie sind auf das Umgebungsödem zurückzuführen, das sich um den frischen Entzündungsherd herum ausgebildet hat. Sie halten in der Regel nicht länger als Tage oder wenige Wochen an und bilden sich fast ausnahmslos wieder zurück. Es gibt aber auch Fälle, in denen die Symptome über Monate und Jahre mehr oder weniger unverändert fortbestehen.