Frage der Woche - Archiv
Schwindel - MS-bedingt?
Vereinfacht gesagt gibt es 5 Arten von Schwindel, die bei MS-Betroffenen unterschieden werden können:
- der akute Schwindel durch einen frischen Herd;
- der chronische Schwindel als Dauerschädigung durch vernarbte alte Herde im Hirnstamm;
- der rezidivierende Schwindel, dessen Ursache „Schwachstellen" in alten Herden sind, die unter Stressbelastungen gereizt werden;
- der Schwindel als medikamentöse Nebenwirkung (Betablocker, Antidepressiva, Antispastika usw.);
- der Schwindel, der nichts mit der MS zu tun hat.
In den Lehrbüchern wird großer Wert auf die Unterscheidung von peripherem und zentralem Schwindel gelegt. Typische Beispiele für einen peripheren Schwindel, also einen Schwindel, der durch Schädigung des Gleichgewichtsnerven oder des Gleichgewichtsorgans bedingt ist, sind der gutartige anfallsartige Lagerungsschwindel, der Morbus Meniere und die Neuritis vestibularis. Ich möchte alle drei kurz schildern.
Lagerungsmanöver Sie legen sich auf eine harte, glatte Oberfläche (Untersuchungsliege oder Tisch). Dann rutschen Sie etwas nach oben und beugen den Kopf über den Rand der Unterlage in einem 45-Grad-Winkel nach hinten. Nun drehen Sie sich auf eine Seite und halten dabei den Kopf leicht abgewinkelt, während Sie auf den Boden blicken. Danach kehren Sie langsam in eine sitzende Position zurück. Abschließend beugen Sie das Kinn auf die Brust. Diese Vorgehensweise dient dazu, die schwimmenden kleinen Partikel, die den Schwindel verursachen, aus dem hinteren Bogengang in ein winziges sackartiges Gebilde zu befördern, den Utriculus. Hier bleiben die Störenfriede mit hoher Wahrscheinlichkeit an den klebrigen Hautwänden hängen, wo sie keinen Schwindel mehr hervorrufen können. |
Der sogenannte gutartige anfallsartige Lagerungsschwindel ist relativ häufig. Nach Zurückbeugen des Kopfes, um nach oben zu schauen, oder nachts beim Drehen auf eine andere Körperseite kommt es für kurze Zeit zu akuten extremen Drehschwindelattacken mit Übelkeit und Erbrechen. Der gutartige Lagerungsschwindel kann durch bestimmte Lagerungsübungen (siehe Kasten) relativ schnell behoben werden.
Ähnlich dramatisch verläuft der Morbus Meniere, Attacken von Drehschwindel, die im Gegensatz zum gutartigen Lagerungsschwindel ohne erkennbare Ursache auftreten, von Übelkeit, oft auch Erbrechen begleitet werden und mit Hörminderung und Ohrgeräuschen einhergehen. Die Anfälle dauern Sekunden bis Minuten und beruhen auf einem Lymphstau im Innenohr.
Wenn ein akuter Drehschwindel Stunden oder Tage anhält, dann handelt es sich meistens um eine Neuritis vestibularis, eine virale Infektion des Gleichgewichtsnervens, die zu einem einseitigen Ausfall des Gleichgewichtsorgans führt. Sie ist durch eine Fallneigung zum erkrankten Ohr hin gekennzeichnet. Eine gute Faustregel lautet: Je peripherer der Schwindel, desto heftiger ist er, desto mehr schwankt und dreht er und desto mehr geht er mit Übelkeit und Erbrechen einher. Das hat insofern eine Bedeutung, weil die MS ja eine Krankheit des zentralen Nervensystems ist, also das Gehirn, den Hirnstamm und das Rückenmark betrifft, aber das periphere Nervensystem verschont.
Daraus folgt, dass der Schwindel, unter dem MS-Betroffene leiden, meistens eher chronisch ist und sich einer genauen Beschreibung (dreht oder schwankt es?) entzieht. Sie fühlen sich einfach schwindlig, mal besser, mal schlechter. Auch Übelkeit wird fast immer verneint.Trotzdem ist dieser Schwindel lästig und beeinträchtigend.
Ursache des MS-Schwindels sind Herde im Hirnstamm bzw. Kleinhirn. Man muss sich den Hirnstamm als eine hochkomplizierte Rechenzentrale vorstellen, in der eine Vielfalt von Informationen aus der Pyramidenbahn, dem extrapyramidalen System und dem Kleinhirn, dem Gleichgewichtssystem, den Augenmuskelkernen und rückläufige Erregungen von den Muskel- und Sehnenrezeptoren miteinander verschaltet werden.Weil das System so perfekt funktioniert, machen wir uns gar nicht klar, wie unglaublich es eigentlich ist, dass wir trotz aller Körper- und Kopfbewegungen keine wackelnden, sondern ruhende Bilder wahrnehmen. Kleinste Leitungsbeeinträchtigungen z.B. durch vernarbte Herde führen zu Fehlern, die häufig jedoch im Laufe der Zeit durch Gewöhnung ausgeglichen werden. Es gibt jedoch auch Herde, die sich immer wieder bemerkbar machen, wenn eine bestimmte Belastungsschwelle überschritten wird.
Ein frischer Herd kann aber auch einmal akute und sehr heftige Symptome wie beim peripheren Schwindel verursachen, weil er durch das Umgebungsödem die Hirnstammkerne vorübergehend in Mitleidenschaft zieht. Diese stehen sozusagen an der Grenze zwischen zentralem und peripherem System.
Abschließend ein Wort zur Behandlung des MS-bedingten Schwindels. Bei dem eher chronischen und uncharakteristischen Schwindel vieler MS-Kranker ist in erster Linie daran zu denken, ob der Lebensstil eine verstärkende Rolle spielt. Wer raucht, sollte das aufgeben. Oft ist es auch einen Versuch wert, für einige Wochen, auf Kaffee und schwarzen Tee zu verzichten. Zweitens sollte beachtet werden, dass Medikamente (u.a. Betablocker, Antidepressiva, Antispastika) Schwindel als Nebenwirkung haben.
An naturheilkundlichen Maßnahmen können bei Neigung zu niedrigem Blutdruck Wechselduschen, Kneippsche Güsse, aufsteigende Fußbäder oder regelmäßige Spaziergänge bei Wind und Wetter hilfreich sein, um den Kreislauf in Schwung zu bringen. Viele Patienten kommen sehr gut mit Vertigoheel 3mal 5-15 Tropfen täglich vor den Mahlzeiten als „sanfter Medizin" zurecht. Falls das nicht hilft, kann man es auch mit Crataegutt l Filmtablette morgens, Gingko (z.B.Tebonin® spezial 80 mg l bis 2 Filmtabletten pro Tag) oder 10 bis 20 Tr. Korodin bei Bedarf versuchen. Es gibt keine Regeln, was bei wem am besten wirkt. Man muss es ausprobieren.
Hinsichtlich chemischer Medikamente werden häufig Betahistin (Aequamen® 3mal l-2Tabl. täglich) und Meclozin (Peremesin®) verordnet, die aber oftmals wenig wirksam sind.