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MS-Forum Dr. Weihe

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Frage der Woche - Archiv


Was sind die Poser-Kriterien?

Für wissenschaftliche Untersuchungen ist es wichtig, genau aufzupassen, dass tatsächlich nur Patienten, die wirklich eine MS haben, in eine Studie aufgenommen werden. Das war vor der Einführung der Kernspintomographie ein Problem, denn oft konnte man sich nur auf seine Intuition oder seinen "klinischen Blick" verlassen. Darum begann man schon frühzeitig Kriterien zu entwickeln, die international für die Diagnose einer MS verbindlich waren.

Am Anfang standen die sogenannten Schumacher-Kriterien, die sich allein auf klinische Befunde stützten, also auf Schübe und neurologische Ausfälle. Das hatte vor allem den Sinn, Patienten in weniger entwickelten Ländern mit in die großen epidemiologischen Untersuchungen einbeziehen zu können, die sicher eine MS hatten, aber bei denen keine Liquorpunktion vorgenommen worden war.

Klinisch eindeutige MS

  • Wenigstens zwei Schübe und Nachweis von oligoklonalen Banden im Liquor oder MS-typische Veränderungen im Kernspintomogramm
  • Wenigstens 1 Jahr primär chronische Entwicklung und oligoklonale Banden im Liquor oder MS-typische Veränderungen im Kernspinto-mogramm

Klinisch wahrscheinliche MS

  • Wenigstens zwei Schübe mit klinischen Befunden, die sich auf einen Herd beziehen lassen (monofokal)
  • Ein Schub mit Befunden, die nur durch die Annahme mehrerer Herde im ZNS zu erklären sind (multifokal), oder mit monofokalen Befunden und MS-typischem Liquor oder Kernspintomogramm
  • Wenigstens 1 Jahr primär progrediente Entwicklung monofokaler Be-funde und MS-typischem Liquor oder NMR

Klinisch mögliche oder fragliche MS

  • Der klinische Befund, der Liquor und die Kernspintomographie sind nicht ausreichend charakteristisch für eine MS, aber es gibt keine Diag-nose, welche die vorhandene Symptomatik besser erklärt als die MS.

Mit der Kernspintomographie, der Entwicklung der modernen Untersuchungsmethoden des Liquors und der Möglichkeit, die visuell evozierten Potentiale zu messen, nahm das Bedürfnis zu, diese Befunde ihrer Bedeutung gemäß mit bei der Diagnosestellung zu berücksichtigen. Daraus entwickelten sich dann die Kriterien, die in den 1980er Jahren von dem amerikanischen Neurologen Charles M. Poser aufgestellt wurden. Bei den "Poser-Kriterien" werden klinisch manifeste Symptome (Schübe), "paraklinische" Läsionsnachweise (Kernspintomographie und elektrophysiologische Untersuchungen) und das Ergebnis der Liquoruntersuchung (Nachweis von oligoklonalen Banden) gleichermaßen berücksichtigt.

Diese Kriterien sind weltweit anerkannt und für wissenschaftliche Untersuchungen wichtig. In der täglichen Praxis spielen sie eine geringere Rolle, weil sich Krankheiten oft nicht an Definitionen halten. Bisher ist es nur ein Wunschtraum technisch orientierter Ärzte, man könne die Symptome eines Patienten in einen Computer eingeben, und dieser werde dann die Diagnose "errechnen". Tatsächlich werden die meisten Diagnosen nicht aufgrund von Diagnoseschemata gestellt, sondern doch durch Erfahrung und den "klinischen Blick" des Arztes.

Soll man dann nach den Poser-Kriterien oder nach der eigenen Erfahrung entscheiden? Das hängt davon ab, wieviel Erfahrung man hat. Darum passiert es oft, dass der ältere, erfahrene Arzt einem Patienten sagt, dass er sicher eine MS habe, während der junge Arzt, der gerade sein Studium abgeschlossen hat, auf den Poser-Kriterien besteht. Kurz gesagt: Die Poser-Kriterien sind gut für Studien, unbefriedigend in der Praxis; gut als Orientierung für den Anfänger, aber überflüssig für den Erfahrenen.

Wenn man streng nach den Poser-Kriterien geht, reicht der Befund nur für die Diagnose einer wahrscheinlichen MS aus (ein Schub, der mit einem monofokalen Befund und MS-typischem Kernspintomogramm einhergeht). Trotzdem, für den Erfahrenen ist die Diagnose sicher. Für Karl-May-Leser: Man könnte den erfahrenen Arzt mit einem alten Indianer vergleichen. Wenn er sagt, eine Hufspur sei weniger als zwei Stunden alt, dann kann das ein Greenhorn anzweifeln, aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass sich der Indianer irrt.

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