Frage der Woche - Archiv
Wie gefährlich ist ein Zeckenbiss? (Teil 1)
Es muss etwa 20 Jahre her sein, als ein knapp 50jähriger Landwirt, ein Bär von einem Mann, aus einem der Nachbarkrankenhäuser zu uns verlegt wurde. Er hatte Schmerzen im rechten Bein, die auf kein Schmerzmittel ansprachen. Die Schmerzen waren so heftig, dass man ihn über Nacht ins Bad der Station schieben musste, weil er so laut schrie und stöhnte.
Natürlich dachten wir als erstes an einen Bandscheibenvorfall, aber das Computertomogramm der Lendenwirbelsäule war normal. Wir schlossen vorsichtshalber eine Myelographie an, eine Kontrastmitteluntersuchung des Rückenmarkkanals, die manchmal einen Vorfall zeigt, der computertomographisch nicht sichtbar ist. Dabei wird auch routinemäßig Rückenmarkwasser entnommen, und in diesem fand sich völlig unerwartet eine massive Entzündung mit mehr als 10.000/3 Zellen.
Erst wenige Jahre zuvor (1981) hatte der gebürtige Schweizer Wilhelm Burgdorfer in seinem Forschungslabor in New York in Zecken korkenzieherartige Bakterien entdeckt, die dann Borrelia burgdorferi genannt wurden. Diese erwiesen sich als die Ursache einer Häufung von Krankheitsfällen, die in der amerikanischen Kleinstadt Lyme im Zusammenhang mit Zeckenbissen aufgetreten waren. Während in den USA Gelenkbeschwerden im Vordergrund stehen sind es bei uns in Deutschland reißende Nervenschmerzen.
Auf gezieltes Befragen erinnerte sich der Patient, dass er vor 3 Wochen von einer Zecke am rechten Oberschenkel gebissen worden war. Es war mein erster Patient, bei dem ich eine Borreliose diagnostizierte und schon unter der ersten Infusion mit einem Antibiotikum bildeten sich die Beschwerden fast schlagartig zurück.
Borrelien werden von Zecken übertragen
Da die Zecken, die auch Holzböcke genannt werden, zu den Spinnen zählen, spricht man von einem Zeckenbiss. Es handelt sich um kleine schwarze, achtbeinige, blutsaugende Parasiten. Sie kommen überall im Unterholz, an hohen Gräsern, Farnen, in Büschen und niedrigen Sträuchern vor. Man sagt, dass sie in ihrer Welt nur zwei Dinge unterscheiden können: ob etwas nach Buttersäure riecht oder nicht, und ob etwas etwa 37 Grad warm ist. (Wenn man mit einer Zecke darüber diskutieren könnte, würde sie wahrscheinlich heftig protestieren.) Jedenfalls reichen die beiden Eigenschaften (Geruch von Buttersäure und 37 Grad warm) völlig aus, um ein Säugetier zweifelsfrei zu erkennen und sich auf es fallen zu lassen.
Die Zecke sucht sich nur dreimal im Leben einen Wirt, um Blut zu saugen: als Larve, als halbwüchsige Nymphe und als erwachsene, geschlechtsreife Zecke. Da sich die Zecke zunächst einmal als Larve infizieren muss, können die Borrelien also nur in den beiden späteren Stadien übertragen werden. Die erwachsene Zecke bevorzugt jedoch Tiere mit einem dichten Pelz (z.B. Hunde), darum stellen die Nymphen die Hauptgefahr für den Menschen dar. Sie sind im Juni und Juli am aktivsten und werden leicht übersehen, da sie nicht größer sind wie der Punkt am Ende des Satzes. Die geschlechtsreife Zecke dagegen ist etwa einen halben Zentimeter groß und wird daher häufiger entdeckt.
In Deutschland ist das Risiko, durch einen Zeckenstich infiziert zu werden, in den Mittelgebirgen am höchsten. Hier sind bis zu einem Fünftel der Zecken mit Borrelien infiziert. Allerdings wird nur ein geringer Teil der Menschen, die von einer infizierten Zecke gestochen werden, selbst auch infiziert und dann krank. Der Mensch kann nur durch Zecken, und nicht durch andere Insekten, wie Bremsen oder Mücken, infiziert werden. Allerdings bleiben Zecken oft lange Zeit unbemerkt und viele Menschen werden infiziert, ohne je einen Zeckenstich bemerkt zu haben.
Die Borreliose verläuft in drei Stadien
Da sich die Bakterien sehr langsam vermehren, verläuft die Borreliose schleichend in mehreren Phasen ab. Im typischen Fall tritt Tage oder Wochen nach einem "Zeckenbiss" eine Hautrötung um die Bissstelle auf, die sich wie ein Tintenfleck auf einem Löschpapier immer weiter ausbreitet und schließlich in der Mitte abblasst. Man spricht von einer „wandernden Hautröte oder einem Erythema chronicum migrans (Stadium I). Nicht verwechseln sollte man damit jedoch die harmlose und häufige Rötung,.die sich auf ca. 1-2 cm um die Stichstelle verteilt, meist stark juckt, nach einigen Tagen oder spätestens einer Woche wieder verschwindet und kein Zeichen einer Infektion darstellt.
Im zweiten Stadium der Erkrankung, die Wochen bis Monate nach dem Zeckenstich auftritt, kann es zu verschiedenen Organbeteiligungen kommen. Die Beteiligung des Nervensystems verläuft in Form einer Hirnhaut- und Nervenwurzelentzündung oder der Entzündung eines einzelnen peripheren Nervens wie bei unserem Patienten. Bei der Gelenkbeteiligung (Lyme-Arthritis) sind die Kniegelenke besonders häufig betroffen.
Das Stadium III tritt erst Monate bis Jahre nach dem Zeckenstich auf. Neben der chronifizierten Gelenkbeteiligung können hier Hauterscheinungen auftreten, welche durch Blauverfärbungen und die Verdünnung der Haut an den Händen und Füßen gekennzeichnet ist (Akrodermatitis atrophicans).
Die Antikörperbestimmung schafft oft keine Klarheit
Die Antikörperbestimmung bringt oft nicht viel weiter, weil viele Menschen irgendwann einmal in ihrem Leben mit Borrelien in Berührung gekommen sind, ohne manifest zu erkranken.
Grundsätzlich kann man zwei Typen von Antikörpern unterscheiden:Antikörper vom IgM-Typ zeigen die frühe Infektion (meist Stadium I oder symptomlos), während Antikörper vom IgG-Typ die späte Infektion (Stadium II und III) oder eine länger zurückliegende Infektion, die komplett ausgeheilt sein kann, anzeigen. Bei den Antikörpernachweisen gibt es die einfacheren Suchtests, wie z.B. den sog. ELISA-Test, und die komplizierteren Bestätigungstests wie den Immuno-Blot- oder den Western-Blot-Test, die garantieren, dass der Test nicht falsch-positiv war. Das heißt, um eine aktuelle oder aber durchgemachte Borrelieninfektion festzustellen, sollte man bei einem positiven Suchtest einen Bestätigungstest veranlassen. Die Höhe des Antikörpernachweises (Titer) ist für die Diagnose von nur geringem Wert.