Frage der Woche - Archiv
Was sind oligoklonale Banden?
Bei der Blut-Hirn-Schranke handelt es sich um das Endothel, die Innenhaut der Hirngefäße, das nur für ganz bestimmte Stoffe durchlässig ist, weil hier die Fugen zwischen den Endothelzellen verkittet sind, während sie im übrigen Körper Spalträume bilden,die für im Blut gelöste Stoffe frei pasierbar sind. |
Die oligoklonalen Banden gehören zur Gruppe der Immunglobuline. Dabei handelt es sich um Antikörper, die von Lymphozyten gegen körperfremde Substanzen, z.B. eine fremdartige Kette von Aminosäuren im Eiweißmantel eines Virus, gebildet werden. Da die Moleküle groß und sperrig sind, können sie die Blut-Hirn-Schranke schlecht passieren, das heißt, wenn sie im Liquor gefunden werden, aber im Blut bzw. der Blutflüssigkeit (Serum) nicht nachweisbar sind, dann ist das ein Beweis, dass sie jenseits der Blut-Hirn-Schranke, also im Gehirn gebildet worden sind. Dies findet aber nur im Rahmen eines Entzündungsvorganges statt.
Wie kann man die oligoklonalen Banden nachweisen? Ganz einfach. Wenn man einen Tropfen Blutflüssigkeit auf einen Streifen Löschpapier bringt und an diesen eine Spannung anlegt, so dass sich der positive Pol am anderen Ende befindet, so werden die Eiweißmoleküle, die stark negativ geladen sind, zum positiven Pol wandern. Dies tun sie um so langsamer, je sperriger sie sind. Auf diese Weise werden sie voneinander getrennt, und es entstehen auf dem Löschpapier schmale Bänder, die von Antikörpern gleicher Art gebildet werden. Wiederholt man dasselbe mit Liquor, den man entsprechend konzentriert hat, bilden sich dieselben Bänder aus, denn hierbei handelt es sich um geringe Konzentrationen von Eiweißen, die durch kleine Risse in der Blut-Hirn-Schranke “geleckt” sind. Wenn sich aber im Liquor Bänder (Banden) zeigen, die im Blut fehlen, dann ist bewiesen, dass diese Antikörper im Gehirn oder im Rückenmark entstanden sind. Da die oligoklonalen Banden immer nur im Vergleich mit dem Blut nachgewiesen werden können, müsste man korrekt sagen: Die oligoklonalen Banden sind im Liquor positiv und im Blut negativ, aber es hat sich eingebürgert, von “positiven Oligoklonalen” zu sprechen.
Das in der Abbildung dargestellte Beispiel zeigt, dass im Liquor drei Banden nachweisbar sind, die im Serum fehlen. Damit ist zwar bewiesen, dass hier ein chronischer entzündlicher Prozess im ZNS vorliegt, allerdings nicht, dass es sich dabei um eine MS handeln muss.
Oligoklonale Banden kommen unter anderem bei der Herpesenzephalitis, der Neurosyphilis und der Neuroborreliose vor. Sie sind also nicht spezifisch für eine MS, allerdings hochverdächtig, weil die MS die bei weitem häufigste entzündliche ZNS-Erkrankung ist und die übrigen in Frage kommenden Krankheiten in der Regel klinisch so unterschiedlich von der MS sind, dass eine Verwechslung nur selten vorkommt.
Wie sicher ist es, eine MS zu haben, wenn die Oligoklonalen positiv sind?
Das ist eine wirklich schwere Frage. Zunächst einmal geht es darum, wie häufig die oligoklonalen Banden falsch positiv sind, d.h. sie sind im Liquor nachweisbar, obwohl man keine MS hat. Manche sagen, das ist nur in 1% der Fall, andere vermuten 10-15%.
Gehen wir einmal von den 1% aus, die nach meiner Einschätzung eher zutreffend sind. Damit wären die oligoklonalen Banden ein sehr sensibler Test. Das heißt, wenn man 100 Personen mit positiven oligoklonalen Banden nimmt, haben davon 99 eine MS und einer ist gesund. (Der Einfachheit halber möchte ich einmal davon absehen, dass auch andere chronische ZNS-Entzündungen in Frage kommen.) Wie groß ist nun die Wahrscheinlichkeit, dass der Fragesteller eine MS hat: 99%, 90%, 50% oder ca. 10% ?
Sie meinen 99%? Lassen Sie uns nachdenken. Stellen wir uns vor, dass aus irgendeinem Grund 100.000 Menschen im Rahmen einer Reihenuntersuchung punktiert und die Oligoklonalen bestimmt werden. Da die MS-Häufigkeit 1:1000 beträgt, werden darunter 100 MS-Kranke sein. Die Oligoklonalen werden bei 1%, das heißt 1.000 Untersuchten falsch positiv sein. Dazu kommen die 100 richtig positiven Befunde, die wirklich eine MS haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass der junge Mann eine MS hat, beträgt also 100/1100 = 10/110 = 9%.
Fast jeder liegt mit seiner Schätzung daneben. Falls es Sie tröstet: Auch die meisten Neurologen tippen auf 90 oder 99%. Das heißt, man kann mit der Interpretation von “objektiven” Untersuchungsergebnissen nicht vorsichtig genug sein. Die Treffsicherheit hängt ganz wesentlich davon ab, ob die Untersuchung aus einem triftigen Grund durchgeführt wurde. Je fundierter der Verdacht auf eine MS ist, desto aussagekräftiger sind die Oligoklonalen. Als Suchreaktion sind sie denkbar schlecht geeignet!
Wenn jemand eine Sehnervenentzündung und ein halbes Jahr später ein “Korsettgefühl” gehabt hat, und dann die Oligoklonalen positiv sind, dann hat er mit Sicherheit eine MS (sogar unabhängig davon, was die Kernspintomographie sagt). Ganz anders liegen die Verhältnisse jedoch, wenn jemand “vorsichtshalber” wegen Ohrgeräuschen oder einer vorübergehenden Schwindelattacke punktiert wird. Wenn dann die Oligoklonalen positiv sind, dann ist die Chance relativ hoch, dass er trotzdem keine MS hat.
Kann man eine MS haben, obwohl die Oligoklonalen negativ sind?
Man sagt, dass die oligoklonalen Banden bei 90-97% der MS-Patienten positiv sind. Das ist eine irreführende Angabe. Ich will erklären, warum.
Als wir vor 20 Jahren anfingen, uns mit der MS zu beschäftigen, untersuchten wir nebenbei auch die Frage, in wieviel Prozent der Fälle die oligoklonalen Banden bei klinisch sicheren MS-Patienten positiv sind. Bei unseren Patienten waren es 97%. Daraus zogen wir den naheliegenden Schluss, dass die oligoklonalen Banden bei 97% aller gesicherten MS-Fälle nachweisbar sind.
Das war ein Denkfehler. Erst viel später fiel uns ein, dass die Erkrankungsdauer eine Rolle spielt. Wir hatten Patienten untersucht, die eine durchschnittliche Erkrankungsdauer von etwa 10 Jahren hatten. Der korrekte Schluss hätte also lauten müssen: Bei Patienten mit einer klinisch sicheren MS und einer durchschnittlichen Erkrankungsdauer von 10 Jahren, sind die oligoklonalen Banden in 97% der Fälle positiv.
Leider sagt dieser hohe Prozentsatz überhaupt nichts darüber aus, wieviel Prozent der Patienten, die später eine klinisch sichere MS entwickeln, schon beim 1. oder 2. Schub positive oligoklonale Banden haben. Dieser Prozentsatz ist tatsächlich wesentlich geringer und lässt sich aus mathematisch-statistischen Gründen schwer abschätzen.
Nehmen wir einmal an, 100 Patienten mit einer isolierten Sehnervenentzündung würden auf oligoklonale Banden untersucht und 20% davon seien positiv. Nach 5 Jahren hat sich bei der Hälfte der Patienten die Verdachtsdiagnose auf MS bestätigt. Davon wären bei 15 Patienten positive Oligoklonale nachweisbar gewesen, das entspricht 30%. Dann könnte man sagen: Also sind die Oligoklonalen im Frühstadium der MS in 30% positiv. Aber viele MS-Erkrankungen bestätigen sich erst nach 10- oder 15jährigem Verlauf, und es gibt auch Patienten, die zwar eine sichere MS haben, bei denen es aber bei einem einzigen Schub bleibt. Es gibt also prinzipiell keine Möglichkeit, die Treffsicherheit der Bestimmung der oligoklonalen Banden im Frühstadium zu bestimmen.
Woran es liegt, dass die oligoklonalen Banden bei dem einen nachweisbar sind und bei dem anderen nicht, obwohl beide eine MS haben, ist nicht bekannt. Es kann nur vermutet werden, dass es etwas mit dem Kontakt der MS-Herde mit dem Liquorraum zu tun hat. Als Faustregel gilt: Je ausgeprägter der MS-Befund im Kernspintomogramm, desto wahrscheinlicher ist es, dass auch die oligoklonalen Banden gefunden werden. Allerdings kann es auch sein, dass sie bei einem einzigen winzigen Herd positiv sind, wenn dieser direkt an eine Hirnkammer oder an ein Drainagesystem, das zu den Hirnkammern führt, grenzt.
Nach meiner Erfahrung würde ich schätzen, dass die oligoklonalen Banden beim ersten Schub einer sich später als sicher erweisenden MS in höchstens 30% der Fälle positiv sind. Sie sind also für die Frühdiagnose wenig geeignet. Darum bin ich auch so zurückhaltend den Liquorpunktionen gegenüber.