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MS-Forum Dr. Weihe

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Frage der Woche - Archiv


Ist die MS eine Zivilisationskrankheit (Teil 2)?

Eine junge Frau schreibt:

„Mein Freund arbeitet seit seinem 17. Lebensjahr in einer Autolackiererei. Schon bevor die MS ausgebrochen ist (das ist jetzt drei Jahre her), hat er häufig unter Kopfschmerzen gelitten. Kann seine MS etwas mit den Dämpfen und den organischen Lösungsmitteln zu tun haben? Gibt es darüber Untersuchungen?“

1997 erschien ein Sonderheft von Neurology, die führende amerikanische Zeitschrift für Neurologie, in dem MS-Spezialisten aus aller Welt über den aktuellen Stand der Ursachenforschung berichteten. Einer der interessantesten Artikel trug den Titel: „Exposition zu organischen Lösungsmitteln und multiple Sklerose“, und er stammte von der norwegischen Epidemiologin Ann-Marie Landtblom. In einer Zusammenfassung von neun Arbeiten mit insgesamt 833 Untersuchungspersonen fand sie, dass das Risiko, an einer MS zu erkranken, bei Menschen, die beruflich mit Lösungsmitteln zu tun haben, um das (je nach Studie) zwei- bis fünffache erhöht ist. Nur eine der kleinsten Studien mit 21 Teilnehmern fand keinen Zusammenhang. Dennoch kommt Landtblom nur zu der sehr vorsichtigen Schlussfolgerung: „Letztendlich kann ein möglicher Zusammenhang zwischen Lösungsmittelexposition und MS nicht ausgeschlossen werden...“ Ich hätte das Ergebnis anders beurteilt, aber man muss berücksichtigen, dass die Epidemiologie ein sehr schwieriges Gelände voller Fußangeln ist, und dass sehr viel Mut dazu gehört zu behaupten, die Industrie und damit der technische Fortschritt trage eine Mitschuld an der Zunahme von chronischen Krankheiten.

In dieselbe Richtung weisen die Ergebnisse einer besonders umfangreichen Studie aus Norwegen, die 1996 auf dem Internationalen Kongress für Arbeitsmedizin in Stockholm vorgestellt wurden. Unter 11.542 Anstreichern war das MS-Risiko im Vergleich zu 46.213 Beschäftigten ohne berufliche Exposition zu organischen Lösungsmitteln immerhin um das 1,9-fache erhöht.

Zusammenfassend muss man sagen, dass die Befürchtungen nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollten. Jeder Bundesbürger nimmt pro Jahr mit der Nahrung 3-4 kg reine Chemie zu sich, und viele fragen sich zu Recht, ob Pestizide, Lösungsmittel, Konservierungsstoffe, Asbest, Schwefelwasserstoffverbindungen, Lindan und Dioxine tatsächlich unbedenklich sind, auch wenn sie bestimmte Grenzwerte nicht überschreiten. Meine ganz persönliche Meinung ist, dass die MS wie die Arteriosklerose eine multifaktorielle Krankheit ist, dass es also viele Kombinationen von krankheitsfördernden Faktoren gibt, von der erblichen Anlage angefangen, über Viren, Stress bis hin zur Schädigung des Myelins durch Umweltgifte. Es ist jedoch schwer abzuschätzen, welches Gewicht letztere im Ensemble der vielen Teilfaktoren haben. Es gibt keine verlässlichen „Normwerte“. Vor allem ist völlig unbekannt, wie sich die Wirkungen mehrerer Schadstoffe gegenseitig verstärken bzw. abschwächen. Von Schadstoffmessungen im Blut und „Giftausleitungen“ halte ich nichts. Die Gefahr ist groß, Betrügern in die Hände zu fallen.

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