Frage der Woche - Archiv
Kann die MS als Impfschaden anerkannt werden?
Die MS wird nur in seltenen Ausnahmefällen als Impfschaden anerkannt. Hierzu gibt es einen interessanten Fall mit einer ungewöhnlichen gerichtlichen Entscheidung. Im Januar 1999 erhielt eine 37jährige Frau eine Diphtherie-Tetanus- und Polioimpfung und erkrankte Ende Februar an MS. Der Antrag auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung wegen des Impfschadens wurde im Juli 2000 mit der Begründung abgelehnt, dass nur unter besonderen Umständen die MS als Schädigungsfolge anerkannt werden könne, nämlich dann, wenn sie in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit einer außergewöhnlich massiven Beeinträchtigung einhergehe.
Auch im Widerspruchsbescheid blieb das Versorgungsamt bei seiner ablehnenden Auffassung und führte u.a. aus: „... Zum einen ist bei Ihnen eine ausgeprägte Impfreaktion nicht nachweisbar (starke Lokalreaktion oder systemische Reaktionen im Sinne von Fieber, Kopfschmerzen, Krankheitsgefühl, Übelkeit). Darüber hinaus ist die erste Symptomatik der MS 32 Tage nach der letzten Impfung aufgetreten, so dass auch hier in keiner Weise ein enger zeitlicher Zusammenhang vorliegt.“
Im Klageverfahren vor dem Sozialgericht Lüneburg wurde ein Aktengutachten eingeholt, in dem der Gutachter u.a. ausführt, dass für die Erstmanifestation einer MS aus immunologischer Sicht sehr gute Gründe für eine Inkubationszeit bis zu 6 Wochen veranschlagt werden können. Mit Urteil vom 15.4.2003 wurde das Versorgungsamt verurteilt, die MS als Impfschaden anzuerkennen und mit einem MdE-Grad von 100 zu entschädigen. Die Patientin bekommt eine Nachzahlung von 33.000 € und eine laufende Grundrente von 621 € monatlich.
Konkret zur Schutzimpfung gegen Zeckenbiss gibt es einen Fall in Österreich, in dem anerkannt wurde, dass ein MS-Schub durch eine FSME-Impfung (FSME-Viren werden durch Zecken übertragen) ausgelöst wurde (Arzneimittel-Telegramm 1995).
Im Übrigen stehen sich bei den Neurologen zwei Meinungen gegenüber. Die einen sagen, dass zum Beispiel die Wahrscheinlichkeit, einen Schub nach einer Grippe zu bekommen erhöht ist, deshalb müsse man alles daran setzen, eine Grippe zu vermeiden und sich vorsichtshalber impfen lassen. Die anderen sagen, jede Stimulation des Immunsystems könne einen MS-Schub provozieren, darum solle man auf jede Impfung verzichten, solange man die Ursache der MS nicht kenne.
Wissenschaftlich ist der Streit anscheinend entschieden. Confavreux und seine Mitarbeiter fanden in einer kürzlich erschienen Studie, dass Impfungen gegen Hepatitis B, Grippe und Tetanus keinen verschlimmernden Einfluss auf den MS-Verlauf haben. Allerdings gibt es auch eine deutsche Untersuchung aus dem Jahr 1990, die zeigt, dass die Erstmanifestation einer MS häufiger im zeitlichen Zusammenhang mit einer Tetanusimpfung auftritt.
Meine persönliche Meinung ist, dass sich MS-Patienten nicht ohne einen triftigen Grund impfen lassen sollten. Keinesfalls sind Impfungen angebracht während eines akuten Schubes oder einer immunsuppressiven Therapie (Cortison, Azathioprin usw.) Auch sonst (unter Betainterferonen und Glatirameracetat) sollte man eher zurückhaltend sein.