Frage der Woche - Archiv
Muss bei Verdacht auf MS immer punktiert werden?
Nicht wenige Neurologen bestehen auf der Liquoruntersuchung, bevor sie die Diagnose einer MS stellen. „Das gehört einfach dazu", argumentieren sie. Schließlich sei es ja nicht nur wichtig, nachzuweisen, dass sich im Gehirn weiße Punkte befänden, sondern auch, dass diese weißen Punkte eine entzündliche Ursache hätten. Sie sagen also, dass man das „Multiple" im Kernspintomogramm nachweist, aber den Entzündungsprozess im Liquor. Gegen diese Argumentation ist wenig einzuwenden. Sie ist plausibel.
Manchmal stellt sich ein Arzt jedoch auf einen anderen Standpunkt. Er denkt: „Wenn es sich bei dieser jungen Patientin um meine Tochter handeln würde, würde ich dann auch nur der Ordnung halber punktieren?"
Aus meiner Sicht ist die Liquorpunktion in vielen Fällen entbehrlich. Sie ist nicht gefährlich, aber sie ist doch in einigen Fällen unangenehm. Darum sollte man sie nur durchführen, wenn wirklich etwas davon abhängt.
Hat jemand zum Beispiel eine Sehnervenentzündung und im Kernspintomogramm MS-typische weiße Flecken, ist die Wahrscheinlichkeit, dass er oder sie eine MS hat, sehr groß. Wenn ich punktiere und die „Oligoklonalen" positiv sind, bestätigt der Befund, was ich vorher schon wusste, wenn sie negativ sind (was zu Beginn der MS sogar nicht unwahrscheinlich ist), ist damit die Diagnose um keinen Deut unsicherer geworden.