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MS-Forum Dr. Weihe

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Frage der Woche - Archiv


Die Behandlung zwischen den Schüben - muss ich mich spritzen? (Teil 1)

1999 hat sich der Ärztliche Beirat der Deutschen MS-Gesellschaft (DMSG) mit der Österreichischen und Schweizerischen MS-Gesellschaft zur Multiple-Sklerose-Therapie-Konsensus-Gruppe (MSTKG) zusammengeschlossen und gemeinsame Therapieempfehlungen für die MS erarbeitet. Das zugrundeliegende Prinzip lässt sich vereinfacht so zusammenfassen: Bei schubförmiger MS soll möglichst frühzeitig eine Dauertherapie mit Betainterferonen (Avonex®, Betaferon® und Rebif®) oder alternativ mit Glatirameracetat (Copaxone®) begonnen werden. Wenn sich die Krankheit dennoch verschlechtert, werden als zweite Stufe Mitoxantron und als letzter verzweifelter Versuch das Cyclophosphamid (Endoxan®) empfohlen. Viele Betroffene sind froh, weil es jetzt endlich etwas gibt, was man gegen die MS machen kann, für andere sind die täglichen, zweitäglichen oder wöchentlichen Spritzen ein Gräuel. Die meisten sind jedoch hin- und hergerissen: Sie wollen nichts unversucht lassen, um ihrer Krankheit Herr zu werden, andererseits zweifeln sie daran, dass ihnen die Spritzen wirklich helfen.

Was sind Interferone?

Die Interferone gehören zur großen Gruppe der Zytokine. Was aber sind Zytokine? Zur Erklärung muss ich etwas weiter ausholen. Wir unterscheiden zwei Arten von Lymphozyten, die B- und die T-Lymphozyten. Während B-Lymphozyten Antikörper produzieren, produzieren T-Lymphozyten Zytokine. Antikörper haben die wichtige Aufgabe, sich zum Beispiel auf Fremdzellen zu setzen und sie auf diese Weise für Fresszellen (Makrophagen) schmackhaft zu machen. Zytokine setzen eine Stufe vorher an: Wenn ein T-Lymphozyt auf ein Virus stößt, dann sondert er ein Zytokin, z.B. Gammainterferon, ab, das weitere Lymphozyten und Makrophagen an den Ort des Geschehens lockt, und damit den Startschuss für die Abwehrreaktion setzt.

Zytokine sind also Botenstoffe, mit denen Immunzellen gemeinsame Aktionen untereinander abstimmen. Sie lassen sich vereinfacht in zwei Gruppen einteilen: Die einen sind entzündungsfördernd, die anderen entzündungshemmend. Während die entzündungsfördernden (Gammainterferon, Tumornekrosefaktor-alpha und die Interleukine IL-2, IL-6 und IL-12) den Entzündungsvorgang in Schwung bringen, passen die entzündungshemmenden (IL-IO, möglicherweise auch die Betainterferone) auf, dass er nicht Überhand nimmt.

Bei einer gelungenen Immunreaktion hängt alles davon ab, dass sich entzündungsfördernde und entzündungshemmende Zytokine in einer Balance befinden. Ist diese gestört, kommt es entweder zu einer ungenügenden Bekämpfung des Erregers oder zu einer chronischen Entzündung, also einem Weiterschwelen des Entzündungsprozesses, obwohl die Ursache längst beseitigt ist. Welche Aufgaben die Betainterferone in diesem Geschehen haben, ist noch unklar. Es wird spekuliert, dass sie die entzündungsfördernde Wirkung des Gammainterferons hemmen. Im Grunde genommen ist dies jedoch nicht mehr als eine Ad-hoc-Erklärung, also eine Erklärung, die im Nachhinein konstruiert wurde. Die Geschichte dazu geht so: Als die Interferone entdeckt wurden, suchte man natürlich sofort nach Möglichkeiten, sie klinisch nutzbar zu machen. Die Hoffnungen, die man bei der Krebsbekämpfung auf sie setzte, zerschlugen sich rasch. Dann zeigte sich eher zufällig, dass Gammainterferon die Überlebenschancen von Versuchstieren mit einer EAE - das Tiermodell der MS - verbesserte. Daraufhin wurde eine kleine Versuchsstudie mit MS-Kranken durchgeführt. Leider kam es hier zur genau entgegengesetzten Wirkung: 6 von 19 behandelten Patienten erlitten innerhalb eines Monats einen frischen Schub, worauf die Studie abgebrochen werden musste. Als sich später die Betainterferone bei der MS als wirksam erwiesen, war es naheliegend, in Ermanglung besserer Erklärungen anzunehmen, sie würden das Gammainterferon hemmen.

Es gibt zwei Betainterferone...

Es gibt nur ein menschliches Betainterferon, bei der gentechnischen Produktion werden jedoch zwei Betainterferone unterschieden:

  1. Betainterferon-1b (Betaferon®) wird mittels genetisch manipulierter E. coli-Bakterien hergestellt. Die Struktur dieser Substanz unterscheidet sich leicht von derjenigen des menschlichen Betainterferons, genauer gesagt, es ist nicht glykolisiert, d.h. ihm fehlt ein Zuckerrest.
  2. Für die Herstellung von Betainterferon-1a (Avonex®, Rebif®) werden Kulturen von Ovarialzellen des chinesischen Hamsters verwendet. Es ist hinsichtlich der molekularen Struktur mit dem natürlichen, vom Menschen produzierten Betainterferon identisch.

Betainterferon-1b hat im Vergleich mit dem humanidentischen Betainterferon-1a eine leicht veränderte Molekülstruktur und soll (sagen Konkurrenzfirmen) deshalb schlechter löslich sein und zu "Verklumpungen" neigen.

... aber drei Betainterferon-Präparate.

Betaferon® (Schering) ist Betainterferon-1b und wird jeden zweiten Tag subkutan (unter die Haut) gespritzt, das entspricht 250 ug pro Woche. Avonex® (Biogen) ist Betainterferon-1a und wird einmal pro Woche intramuskulär gespritzt, das sind 30 µg (!) pro Woche. Bei Rebif® 22 bzw. 44 (Serono) handelt es sich ebenfalls um Betainterferon-1a, das dreimal pro Woche subkutan gespritzt wird, entsprechend 66 bzw. 132 ug pro Woche.

Gibt es ein bestes Betainterferon?

Unter den drei Herstellerfirmen besteht natürlich ein heftiger Konkurrenzkampf, der aber in der Öffentlichkeit unter der Decke gehalten wird. Die Firma Schering reklamiert für ihr Betainterferon-1b, dass sie die überzeugendsten Studien vorgelegt hat. Im Gegenzug wird von den Firmen Biogen und Serono darauf verwiesen, dass Betainterferon-1b wegen des fehlenden Zuckerrestes schlechter wasserlöslich sei und dazu neige zu "verklumpen". Dies sei auch der Grund, warum es deutlich höher dosiert werden müsse als Betainterferon-1a. Außerdem sei Betainterferon-1a, humanidentisch und führe deswegen zu einer geringeren Antikörperbildung. Bezüglich der Antikörperbildung behauptet die Firma Biogen, dass Medikamente, die intramuskulär gegeben werden, weniger Antikörper erzeugen als Medikamente, die subkutan gespritzt werden, deshalb sei Avonex® nicht nur komfortabler, weil man es sich nur einmal pro Woche spritzen müsse, sondern auch Rebif® und Betaferon® überlegen. Schering und Serono parieren mit dem Argument, Avonex® sei mit der "Einmal-pro-Woche"-Dosierung eindeutig unterdosiert. Trotz der genannten Unterschiede geht die MSTKG in ihren Therapie-Leitlinien davon aus, dass zwischen den drei Betainterferonpräparaten keine wesentlichen Unterschiede hinsichtlich ihrer Wirksamkeit bestehen.

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