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MS-Forum Dr. Weihe

 

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12 Thesen zur MS

  1. Die MS ist keine Autoimmunerkrankung.
    Zur Begründung:
    1. Die experimentelle allergische Encephalomyelitis (EAE) ist kein geeignetes Tiermodell der MS.
    2. Die Arbeit von Barnett und Prineas lassen es denkbar erscheinen, dass die Lymphozyten in frischeren MS-Herden eher an den Aufräumarbeiten beteiligt sind, als dass sie primär die Oligodendrozyten angegriffen haben. (Barnett und Prineas in Ann Neurol, 2004)

  2. Wenn es einen MS-Erreger gibt, steht das Epstein-Barr-Virus (EBV) auf der Liste der Verdächtigen ganz oben.
    Zur Begründung: Erstens ist die Wahrscheinlichkeit, an einer MS zu erkranken, um das Zwei- bis Dreifache erhöht, wenn anamnestisch ein Pfeiffersches Drüsenfieber zu erfragen ist, zweitens sollen bei allen MS-Patienten ohne Ausnahme Antikörper gegen EBV im Blut nachweisbar sein (allerdings beträgt der Durchseuchungsgrad in der Normalbevölkerung 85-95%), drittens ist der EBV-Antikörper-Titer ist bei Personen, die später an MS erkranken, deutlich erhöht, und viertens werden MS-Schübe häufig von einem Anstieg der Antikörpertiter gegen das EBV begleitet. (Wandinger in Neurology, 2000)
  3. Auch wenn es einen MS-Erreger gibt, ist er nur eine notwenige, aber keine hinreichende Voraussetzung dafür, dass eine MS entsteht. Unter den Trigger-Faktoren („Trigger“ ist der Abzughahn einer Pistole) spielen seelische und körperliche Überlastungen eine entscheidende Rolle. Typische „Risikofaktoren“ sind: Prüfungen, Umzüge, körperliche Überlastungen, Hitzeexpositionen, grippale Infekte, beruflicher Leistungsdruck, Mobbing, Partnerschaftskonflikte, Pflege, Krankheit und Tod von nahestehenden Menschen usw. Ihre Kenntnis kann zur „Sekundärprophylaxe“ weiterer Verschlechterungen hilfreich sein.
    Zur Begründung: Arbeit von Mohr (Neurology 2000): Bei 36 Patienten mit einer schubförmigen MS wurden einmal pro Monat ein Kernspintomogramm mit Gadolinium und gleichzeitig psychologische Tests und Fragebögen mit dem Schwerpunkt auf negativen Ereignissen in der Familie und im Beruf durchgeführt. Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit, dass 4 bis 8 Wochen nach einer seelisch belastenden Situation frische Herde auftraten, war hochsignifikant erhöht, während die Schubrate keinen Zusammenhang mit den seelischen Belastungen zeigte.
  4. Die MS-Herde sind nicht zufällig verteilt, sondern bevorzugen „strapazierte“ Hirnregionen.
    Zur Begründung: Nach der Hypothese der toxischen Konzentrationen wird das Hirngewebe nicht durch einen toxischen Faktor, der durch eine im Zentrum jedes MS-Herds liegende Vene ins Hirngewebe einwandert und sich dort „tintenklecksartig“ ausbreitet, geschädigt, sondern durch eine Überkonzentration von Stoffwechselabbauprodukten, die in „überhitzten“ Hirnregionen anfallen und zur Vene hin drainiert werden.
  5. Herd ist nicht gleich Herd. Darum täuschen viele weiße Flecken im Marklager oft einen dramatischeren Befund vor, als er in Wirklichkeit ist.
    Zur Begründung: Der frische MS-Herd hat drei Möglichkeiten „abzuheilen“: Im günstigsten Fall (und sehr häufig) wird er zum Schattenherd („weißer Fleck“), in den weniger günstigen Fällen zum chronisch inaktiven Herd („schwarzes Loch“) oder zum chronisch aktiven Herd („Ringstruktur“).
  6. Schub ist nicht gleich Schub. Darum besteht nur ein lockerer Zusammenhang zwischen der Zahl der Schübe und dem Langzeitverlauf der MS.
    Zur Begründung: Es gibt zwei Arten von Schüben:
    1. „echte“ Schübe mit neuen klinischen Symptomen, und
    2. Reaktivierungen, also das Wiederaufflackern der Entzündung in chronisch aktiven Herden

  7. Die sekundär progrediente MS ist eine defizitär ausgeheilte MS
    Zur Begründung: Bei der MS lassen sich zwei Stadien unterscheiden: a) Die eigentliche Krankheit, die durch einen primären oder sekundären Entzündungsprozess charakterisiert ist, und im Laufe der Jahre immer schwächer wird, und b) das unspezifische Folgestadium, das durch das kontinuierliche Absterben von entmarkten Nervenfasern in vernarbten MS-Herden bestimmt wird.
  8. Es kann davon ausgegangen werden, dass mehr als zwei Drittel der Betroffenen eine normale Lebenserwartung haben und bis ins hohe Lebensalter keine für den Außenstehenden wahrnehmbare Behinderung aufweisen. Durch die Verfeinerung der Diagnostik werden immer häufiger leichte und leichteste Verlaufsformen diagnostiziert, die sich früher jedem Nachweis entzogen hätten. Deshalb ist die Prognose der heutzutage diagnostizierten Krankheitsfälle wesentlich günstiger als noch vor 20 Jahren.
    Zur Begründung: 1991 wurden in Olmstedt (USA)162 MS-Patienten neurologisch genau untersucht. Alle bis auf einen einzigen Patienten konnten nach genau zehn Jahren nachuntersucht werden. Das überraschende Ergebnis war, dass die meisten Patienten stabil geblieben waren oder nur eine minimale Progression zeigten. Die durchschnittliche Verschlechterung des Behinderungsgrades (0 = klinisch gesund, 6 Gehen nur mit Gehhilfe möglich, 7 = rollstuhlabhängig, 10 = Tod durch MS) betrug nach zehn Jahren für die gesamte Gruppe nicht mehr und nicht weniger als 1.0 Punkte. (Pittock in Neurology, 2004)
  9. Es gibt Kriterien, die in der Hand des Erfahrenen eine frühzeitige und zuverlässige Vorhersage des Krankheitsverlaufes ermöglichen.
    Dazu gehören als günstige Prognosekriterien:
    1. a)der primär schubförmige Verlauf;
    2. a)der Beginn der Erkrankung mit Augensymptomen oder Sensibilitätsstörungen;
    3. a)ein großer zeitlicher Abstand zwischen den Schüben;
    4. a)eine geringe Herdproduktionsrate;
    5. die völlige Rückbildung der Ausfälle;
    6. EDSS unter oder gleich 3.0 nach einer Krankheitsdauer von 10 Jahren;
    7. das Fehlen „schwarzer Löcher“ im Kernspintomogramm; und
    8. a)eindeutige auslösende Situationen.

  10. Das Fatigue-Syndrom ist im Wesentlichen Folge eines diffusen Diskonnektionssyndroms.
    Zur Begründung: Auch „stumme“ Herde können die Kooperation zwischen den vielen Hirnregionen, die bei der Wahrnehmung, aber auch anderen kognitiven Leistungen beteiligt sind, beeinträchtigen.
  11. Ein frischer Schub sollte nur in begründeten Ausnahmefällen mit Cortison behandelt werden.
    Begründung: In der Opticusneuritis-Studie von Beck waren die Ausfälle, die nach einer Sehnerventzündung zurückblieben, unabhängig davon, ob die Betroffenen mit Cortison behandelt worden waren oder nicht (Neurology 1997). Durch Cortison kann theoretisch die Ausbildung chronisch aktiver Herde gefördert werden. Cortison kann im Tierexperiment das Absterben von Nervenfasern fördern.
  12. Die Indikation zur Basistherapie (Betainterferone, Glatirameracetat) sollte zurückhaltend gestellt werden.
    Begründung: Die Nebenwirkungen sind erheblich, die Langzeitrisiken unbekannt und die Wirksamkeit gering: Ein Patient muss 14 Jahre lang mit Betainterferonen behandelt werden, um einen Schub zu verhindern. Hinzu kommt, dass der Zusammenhang zwischen Schüben und Langzeitverlauf mehr als zweifelhaft ist. (Confavreux in N Engl J Med, 2000)
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