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MS-Forum Dr. Weihe

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Multiple Sklerose - kurz und bündig


6 Das Bild der MS in der Kernspintomographie

Der typische MS-Befund in der Kernspintomographie (KST), die auch Magnetresonanz-Tomographie (MRT) genannt wird, sind rundliche oder ovale weiße Flecken, die in der weißen Substanz des Gehirns verstreut sind. Sie haben Vorzugslokalisationen und zwar an den Rändern der Hirnkammern. Mit einer bestimmten Technik (T1-Geewichtung) erscheinen Ansammlungen von Wasser im Gehirn dunkel bzw. schwarz. Bei diesen Aufnahmen ist der Liquor in den Hirnkammern schwarz dargestellt. Die meisten MS-Herde behalten auch auf den T1-gewichteten Bildern ihr weißliches Aussehen, einige stellen sich jedoch dunkel dar und werden „schwarze Löcher“ genannt.

Bild: Betainterferon
Abb.: Auf dem typischen Kernspintomogramm der MS sind zwei Arten von Herden zu unterscheiden: „weiße Flecken“ (1) und „schwarze Löcher“ (2). An den Vorder- und Hinterhörnern der Hirnkammern (Hk) konfluieren die Herde flächenartig (3).

6.1 „Ich sehe überall nur weiße Punkte.“

Es gibt kernspintomographische Befunde, die so MS-typisch sind, dass gar keine andere Krankheit in Frage kommt (Abb, 3). Dann kann man allein aufgrund der Bilder die Diagnose mir großer Sicherheit stellen. Das ist aber nur etwa in einem Drittel der Fälle so. In einem weiteren Drittel lassen die weißen Punkte nur den Verdacht auf eine MS zu, und in einem letzten Drittel sind die Herde uncharakteristisch. Der Radiologe schreibt dann oft: „Die hyperintensen Läsionen (= weiße Herde) sind nicht MS-typisch, aber mit einer MS vereinbar. Differentialdiagnostisch kommen vaskuläre Schädigungen in Betracht.“

Manchmal sind MS-Herde nicht sicher von „Mikroinfarkten“ zu unterscheiden, also kleinen umschriebenen Durchblutungsstörungen im Rahmen einer Arteriosklerose der Hirngefäße. Außerdem gibt es junge Menschen, die kleine weiße Punkte im Gehirn haben und völlig gesund sind. Diese Punkte werden als „UBOs“ bezeichnet, unidentified bright objects). Sie sind oft winzig und liegen direkt unter der Hirnrinde, während die MS-Herde ja die Ufer der Hirnkammern bevorzugen. Vermutlich sind sie harmlose Närbchen, die von einer Kinderkrankheit geblieben sind. Masern z.B. sollen häufiger mit einer leichten Hirnentzündung einhergehen, als man bisher angenommen hat.

Bild: Betainterferon
Abb.: Typisches, geradezu pathognomonisches MRT-Bild einer MS-Patientin

Oft wird behauptet, auch die Borreliose könnte zu kleinen weißen Flecken im Kernspintomogramm führen, die leicht mit einer MS verwechselt werden könnten. Das kann ich aus meiner Erfahrung nicht bestätigen. Von den Borreliosepatienten, die ich kenne, hatten nur ganz wenige vereinzelte weiße Flecken im Kernspintomogramm. Diese lagen wie die UBOs ziemlich nahe an der Hirnrinde, und niemand käme auf die Idee gekommen, sie für MS-typisch zu halten.

6.2 Was sind „schwarze Löcher“?

1988 fanden wir im Rahmen einer Studie über die diagnostische Treffsicherheit der Kernspintomographie bei 34% unserer MS-Patienten eine merkwürdige Art von Herden, die unter bestimmten Bedingungen (T1-gewichtete Bilder) nicht homogen weiß erschienen, sondern ein schwarzes Zentrum aufwiesen. Lange wussten wir nichts damit anzufangen, bis uns plötzlich auffiel, dass die Krankheit bei den Patienten mit diesen Herden einen deutlich ungünstigeren Verlauf nahm.

Bild: Betainterferon
Abb.: „Schwarze Löcher“ (black holes)

Als Erklärung schlugen wir vor, dass es sich um aggressive Läsionen handele, die sich so rasch ausdehnen, dass die Astrozyten nicht genug Zeit haben den Defekt „auszustopfen" und so ein Loch entsteht, das sich mit Liquor (Hirnwasser) füllt. Deshalb nannten wir sie „Lakunen" (lat. lacuna = kleiner See) und sprachen von einer „lakunären" MS. Diese Herde sind ein frühzeitiger Hinweis auf eine ungünstige Prognose.

Unsere Befunde wurden später von L. Truyen und seinen Mitarbeitern bestätigt (Neurology 1996). Anstelle von „Lakune“ benutzten sie das griffigere Wort „black hole", das sich international durchgesetzt hat. Auch Truyen fand, dass diese Herde auf einen aggressiven Krankheitsverlauf hinweisen und erklärte sie durch eine höhere Entzündungsaktivität, welche die Reparaturmechanismen überfordere und so zu einem bleibenden Strukturdefizit führe.

Die eben erwähnten Untersuchungen von Brück und Lucchinetti legen nahe, dass es sich bei den Lakunen bzw. „schwarzen Löchern“ um Typ-2-Herde handelt, in denen nicht nur die Myelinscheiden, sondern auch die Zellkörper der Oligodendrozyten zerstört wurden, und in denen es deshalb zu keiner Remyelinisierung kommen kann. Weil diese Herde fettärmer sind, weisen sie eine höhere Liquorkonzentration auf als andere Herde, was ihr dunkles Zentrum erklärt.

6.3 Der Blick durch den Schub auf den Herd

Grob gesprochen lassen sich kernspintomographisch vier Arten von MS-Herden unterscheiden. Es handelt sich um alte Bekannte:

Bild: MS-Herd
Abb.: a) Situation vor der Herdentstehung; b) frischer Herd mit perivenöser Infiltration, Schaumzellen und Umgebungsödem; c) chronisch aktiver Herd mit mäßiggradiger perivenöser Infiltration und entzündlichem Randsaum; d) chronisch inaktiver Herd, der mit einem dichten Faserfilz „ausgestopft“ ist; e) Schattenherd mit weitgehender Remyelinisierung.

Der frische Herd erscheint im MRT nativ aufgebläht mit unscharf begrenzter, faseriger Oberfläche („Tennisball-Herd“). Er reichert Gadolinium an.

Ich hatte bereits erwähnt, dass die „Schattenherde“ für den Neuropathologen mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen sind. Hier scheint der Zerstörungsprozess glimpflich abgelaufen zu sein, so dass die verbliebenen oder leichter geschädigten Oligodendrozyten in der Lage waren, zugrundegegangene Markscheiden notdürftig zu ersetzen. Das kernspintomographische Korrelat sind „weiße Flecken“.

Im Gegensatz dazu springen die inaktiven chronischen Plaques auf Hirnschnitten ins Auge. Sie sind scharf begrenzt und wirken „wie ausgestanzt“. Abrupt kommt es beim Übergang vom normalen Gewebe in den Herd hinein zu einem Verlust aller Markscheiden und Oligodendrozyten. Die nackten Axone verlaufen durch ein dichtes Fasernetzwerk, das von Astrozyten gebildet wird. Entzündungszellen sind in diesen Herden nicht nachweisbar. Im MRT imponieren sie als „black holes“.

Der aktive chronische Herd ist kernspimtomographisch durch eine ringförmige Gadoliniumanreicherung („Ringstruktur“) und histopathologisch durch einen „Entzündungswall“ gekennzeichnet. Im Zentrum des Herdes ist der Vernarbungsprozess weitgehend abgeschlossen, während sich an der Peripherie noch massenhaft Lymphozyten und Makrophagen befinden, also hier der Entzündungsprozess noch fortzuschreiten scheint.

6.4 Wann sollte das Halsmark mituntersucht werden?

Ein in der Praxis häufig gestellte Frage ist: Wenn der Verdacht auf eine MS besteht, gehört dann nicht zu einer korrekten Untersuchung auch das MRT des Halsmarks, im Grunde sogar des gesamten Rückenmarks? Tatsächlich wurde die in alten Lehrbüchern noch unter den Rückenmarkserkrankungen abgehandelt. Das Rückenmark (und hier besonders das Halsmark) ist also eine bevorzugte Lokalisation der MS-Herde. Geradezu pathognomonisch für Rückenmarksherde sind das Lhermittesche Zeichen, das ringförmige Druck- oder Korsettgefühl, aber auch die nicht selten geklagte unangenehme Missempfindung, dass z.B. der gesamte Unterschenkel wie in einen zu engen Strumpf gepresst sei, und Blasenstörungen, im typischen Fall der imperative Harndrang.

Wenn das so ist, könnte man sich fragen, warum dann meistens ausschließlich eine MRT des Schädels veranlasst wird? Der Grund ist einfach der: Das Volumen der weißen Hirnsubstanz überwiegt bei weitem das Volumen des Rückenmarks, d.h., die Trefferwahrscheinlichkeit ist im Gehirn weitaus höher. Eine zusätzliche MRT des Halsmarks sollte nur dann erfolgen, wenn bei dringendem Verdacht auf MS im Gehirn keine Herde nachweisbar sind. Eine routinemäßige Halsmark-Untersuchung „der Ordnung halber“ halte ich für überflüssig. Auch, wenn z.B. das Lhermittesche Zeichen auftritt, bringt es oft nichts, den Herd nachzuweisen, den man allein aufgrund der Symptomatik mit hoher Sicherheit vermutet.

6.5 Kernspintomographie - Wann ist eine Kontrolle sinnvoll?

In der Regel ist eine Kontrolle der Kernspintomographie nicht erforderlich. Wichtig ist ja der klinische Zustand und nicht, wie das Kernspintomogramm aussieht. Allerdings kann ich mir zwei Situationen vorstellen, in denen ich eine Kontrolle empfehlen würde:

Eine 31jährige Arzthelferin hat seit fünf Jahren eine MS. Anfänglich ist es zu zwei Schüben gekommen, dann war vier Jahre lang Ruhe. Jetzt ist ein erneuter Schub aufgetreten. Der Neurologe empfiehlt eine Betainterferon-Therapie.

Ich würde die Entscheidung nicht zuletzt davon abhängig machen, inwieweit sich der kernspintomographische Befund verschlechtert hat. Wenn sich jetzt nach fünf Jahren zeigt, dass eine Menge Herde hinzugekommen sind, könnte das für die Einleitung einer immunmodulatorischen Behandlung sprechen, wenn der Befund gleichgeblieben ist, ist von einer Betainterferon-Therapie wenig zu erwarten.

Bei einem 53jährigen kaufmännischen Angestellten ist seit 10 Jahren eine MS bekannt. Wegen eines schweren Müdigkeitssyndroms und Konzentrationsstörungen erhebt sich die Frage, ob er eine Rente beantragen soll.

In diesem Fall würde ich eine Kontrolle der Kernspintomographie veranlassen, um den Rentenantrag durch objektive Daten zu untermauern. Auch wenn die Zahl der Herde nicht immer mit den klinischen Beschwerden korreliert, wird doch kein Gutachter eine Rente ablehnen können, wenn höhergradige Veränderungen vorliegen. In diesem Fall ist besonders auch auf eine Verschmälerung des Hirnbalkens zu achten, die sehr häufig bei Konzentrations- und Gedächtnisstörungen nachweisbar ist.

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