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MS-Forum Dr. Weihe

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Multiple Sklerose - kurz und bündig


15 Was kann ich selbst tun?

15.1 Gibt es eine MS-Diät?

Auf die Hebener- und Evers-Diät ist wiederholt im BLICKPUKT eingegangen worden. Ich möchte nur drei Erwägungen des gesunden Menschenverstandes ergänzen:

Die Swank-Studie

1952 wurde eine Studie von Roy L. Swank im New England Journal of Medicine veröffentlicht. Er verglich das Vorkommen von MS in Küstenregionen von Norwegen mit der MS-Häufigkeit im Inland. Swank ging davon aus, dass sich beide Bevölkerungsgruppen grundlegend in ihren Essgewohnheiten unterscheiden.

In den Küstendörfern leben die Menschen hauptsächlich vom Fischfang. Zwar haben viele Fischer auch ein kleines Stück Land, aber darauf pflanzen sie nur Kartoffeln, etwas Gemüse und Küchenkräuter. Die Küstenregion ist gleichzeitig auch eine der ärmsten Landstriche in Norwegen. Im Inland ist der Lebensstandard höher. Hier leben die Menschen von der Landwirtschaft und Milchwirtschaft. Im Vergleich zur Küste ist die MS-Häufigkeit um das Dreifache erhöht.

Deshalb empfahl Swank eine fettarme Diät, modifizierte seine Auffassung aber später immer mehr. In seinem Multiple Sclerosis Diet Book (1987) rät er zu einer vegetarisch orientierten Kost, die wenig tierische Fette enthält. Er verbietet Butter, und empfiehlt 14 ml flüssige Pflanzenöle und 5 ml Fischöl täglich.

Swanks Auffassung wird im wesentlichen durch eine Studie bestätigt, die 1974 in den Archives of Neurology erschien.15 M. Alter hat darin die Häufigkeit der MS mit den Verzehrgewohnheiten in 22 Ländern verglichen. Er stellte fest, dass die MS um so häufiger auftrat, je mehr „Kalorien tierischen Ursprungs“ und „Fette und Öle“ verzehrt wurden. Zu einem ähnlichen Ergebnis kam K. Lauer 1994, der fand, dass das Auftreten der MS mit der Zufuhr tierischer Produkte korrelierte.16

Die Richtlinien für eine vernünftige Ernährung bei der MS ergeben sich somit aus der Beantwortung der folgenden drei Fragen:

Daran würde ich mich halten. Aber niemals darf eine Diät dazu führen, dass sie jemanden zum Sklaven macht oder ihm die Lebensfreude nimmt.

Der im letzten Seminarteil erwähnte Max-Otto Bruker meinte immer, es gäbe nur zwei Arten von Krankheiten: die lebensbedingten und die ernährungsbedingten. Mit einem verschmitzten Lächeln pflegte er hinzuzufügen, dass Patienten, die lebensbedingt krank sind, also unter beruflicher Überlastung oder familiären Problemen leiden, dazu neigen, sich einer strengen Diät zu unterziehen, während die Übergewichtigen am eifrigsten zur Psychotherapie gingen, aber kein Gramm abnähmen. Es ist immer am leichtesten, die Probleme zu bekämpfen, die man nicht hat. Hüten Sie sich also, auf das falsche Pferd zu setzen.

15.2 Soll ich gegen meine Krankheit ankämpfen?

Zu den größten und schönsten Bibliotheken, die ich kenne, zählt die Central Library in Los Angeles. Für sich allein betrachtet, ist sie ein eindrucksvolles Gebäude aus den Goldenen Zwanzigern, aber zwischen den Wolkenkratzern der City wirkt sie wie ein Zwerg. Dort fand ich ein Buch über die MS, das den Titel „One particular harbor“ trug* . Es stammt von Janet Lee James, einer bekannten Radiomoderatorin in den USA.

Mit 23 Jahren erkrankte sie an MS. Jetzt erst recht, denkt sie, und beschließt, sich einen Jugendtraum zu erfüllen. Sie zieht nach Alaska, arbeitet als Köchin in einer Kneipe für Trucker, besteigt Gletscher, geht auf Walfang, nimmt an einem Hundeschlittenrennen teil, zieht am Abend durch die Bars, ist ständig auf Männerjagd und lebt in einer Hütte ohne Elektrizität und fließendes Wasser. Als sie als Smutje auf einem Frachtschiff arbeitet und das Schiff in einem Sturm in Seenot gerät, kommt es zu einem Schub, der den Übergang in das chronisch progrediente Stadium ihrer Erkrankung markiert. Trotzdem unternimmt sie mit ihrer Mutter noch eine Wildwasserfahrt, bei der sie kentert und beinahe ertrinkt, und besteigt mit ihren letzten Kräften einen Gletscher. Schon im Rollstuhl fliegt sie auf die Philippinen, um sich dort von Wunderheilern behandeln zu lassen. Nach der ersten „Operation“ kann sie tatsächlich wieder gehen. Aber der Erfolg hält nicht an. Jetzt lebt sie schwerkrank bei ihren Eltern.

Janet Lee James ist ein typisches Beispiel für einen Menschen, der versucht, gegen seine Krankheit anzukämpfen, koste es, was es wolle, Natürlich gibt es auch das andere Extrem: ängstliche MS-Betroffene, die sich in ihre Wohnung einschließen, sich nichts mehr trauen, oder andere, die im Augenblick der Diagnoseeröffnung alle Lebensfreude und allen Schwung verlieren. Trotzdem, das Bild, das ich von der typischen MS-Patientin habe, entspricht dem von Janet Lee James.

15.3 Über das angebliche „Nichts-tun“ bei der MS

Ich habe hohen Respekt vor Menschen, die sich nicht unterkriegen lassen wollen und der MS ihren ganzen Trotz entgegensetzen. Nach meiner Erfahrung ist die MS jedoch eine Krankheit, mit der man sich eher arrangieren, als gegen sie ankämpfen sollte. Viele Betroffene lassen sich zu Unrecht einreden, sie täten nichts gegen ihre Krankheit, nur weil keine Medikamente einnehmen. In Wirklichkeit kann es viel wichtiger sein, seinen Lebensstil zu ändern, was oft mit „Nichts-tun“ verwechselt wird.

Heike L. ist Assistentin der Geschäftsleitung einer Privatbank. Ihr Job ist stressreich, aber sie macht ihn gern, und sie ist sehr ehrgeizig. Sie ist jeden Morgen zwei Stunden mit Auto, Bahn und S-Bahn unterwegs, um an ihren Arbeitsplatz zu kommen, und nachmittags in der rush hour dauert es manchmal sogar noch länger. Im letzten Jahr war nach der Schilderung ihres Ehemannes, eines ruhigen Juristen, abends nichts mehr mit ihr anzufangen. Sie war völlig erschöpft und leicht reizbar. Es störte sie die Fliege an der Wand. Dann trat vor einem Monat eine Taubheit beider Hände auf, immer wenn sie den Kopf nach vorn beugte. Als sich die Störung nicht zurückbildete, suchte sie einen Orthopäden auf, der sie zu einem Neurologen schickte. Dieser diagnostizierte eine MS und empfahl ihr eine Basistherapie.

Frau L. entschied sich anders. Ihr Chef, der ihre Arbeit sehr schätzte, war einverstanden, dass sie nur noch vier Tage in der Woche arbeitete. Ein halbes Jahr später wurde sie schwanger. Die Schwangerschaft verlief problemlos, und sie brachte einen gesunden Sohn zur Welt. Es ist jetzt drei Jahre her, dass sie ihren ersten Schub erlitt, ein neuer ist bisher nicht aufgetreten, und es ist durchaus möglich, dass sie auch keinen weiteren erleiden wird – aber das zu beurteilen, ist noch etwas zu früh.

Ich lernte das Ehepaar kurz nach der Diagnosestellung kennen. Sie wollten wissen, ob die Reduktion der Arbeitszeit ein sinnvoller Schritt sei, und sie zunächst einmal auf weitere Maßnahmen verzichten könnten. Aus meiner Sicht haben sie genau das Richtige getan. Obwohl der Stress unter dem sie litt ein „guter“ Stress war, war er wegen der zermürbenden Hin- und Rückfahrt eindeutig zu viel für sie, wie die abendliche Erschöpfung und die Gereiztheit belegten. Viele Menschen denken, es sei vielleicht zu wenig, mit „nichts anderem“ als einer Reduktion der Arbeit auf die Erkrankung zu reagieren. Im Fall von Frau L. ist es jedoch der entscheidende Punkt.

Manchmal drängt sich der Eindruck auf, dass die Fähigkeit von Menschen, seelisch mit einer Krankheit fertig zu werden, sie zu akzeptieren und mit ihr zu leben, durch die ständig wachsenden Möglichkeiten der modernen Medizin, Krankheit zu bekämpfen, gelähmt wird. Man verlässt sich auf den Arzt, der wird es schon richten. Der eigene Körper und die Verantwortung dafür wird abgegeben wie das Auto zur Inspektion und zur Reparatur.

„Ich habe drei Monate gebraucht, um zu begreifen, dass ich eine MS habe. Ich habe alles über die Krankheit gelesen, was mir in die Finger kam. Und dann habe ich mein Leben umgekrempelt, so dass kein Stein mehr auf dem anderen geblieben ist. Alles hat sich verändert. Ich bin ein neuer Mensch geworden und fühle mich rundherum wohl.“ Das sagte mir jemand, viele Jahre nachdem er seinen ersten Schub erlitten hatte.

Vor seiner Erkrankung hatte er schon längere Zeit eine tiefe Unzufriedenheit in sich verspürt, fühlte sich in seinem Beruf als Arzneimittelreferent nicht wohl, verachtete die Ärzte, die ihn manchmal stundenlang vor der Tür ihres Sprechzimmers warten ließen und die er trotz seiner Wut höflich behandeln musste. Obwohl er sehr erfolgreich war, hielt er die innere Spannung kaum noch aus. Für sich und seine Familie hatte er eine schöne Villa gebaut, die eigentlich seine finanziellen Möglichkeiten überstieg und nur durch einen zusätzlichen Einsatz von Zeit und Demütigung abzuzahlen war.

Als er mit 45 Jahren seinen ersten Schub bekam, gab er alles auf. Seine beiden Kinder hatten gerade die Schule beendet. Seine Frau verstand ihn nicht, als er von heute auf morgen das Rauchen aufgab, kein Fleisch mehr aß und auf Kaffee und schwarzen Tee verzichtete, aber sie legte ihm auch keine Steine in den Weg, als er kündigte - zu sehr hatten sich beide während der langen Jahre beruflicher Überforderung voneinander entfremdet. Die Trennung vollzog sich undramatisch, die Villa wurde zu einem günstigen Preis verkauft. Mit einem Schulfreund zusammen, der Arzt geworden war, eröffnete er eine Klinik für Naturheilkunde im Allgäu. „Die ersten Jahre waren nicht leicht“, erzählte er mir, „aber ich bekam keinen neuen Schub. Ich glaube, es liegt daran, dass mich meine Arbeit erfüllte und mir Spaß machte.“

Herr L.-H. war übrigens durchaus nicht der Ansicht, dass sein Beruf allein die Ursache seiner MS war, dafür dachte er viel zu nüchtern. Aber er ging davon aus, dass er mit seiner Krankheit besser fertig werden könne, wenn er nicht ständig erschöpft und ohne Lebensfreude war. So nahm er sie zum Anlass, das zu tun, was er schon längst hatte tun wollen.

Nicht jeder kann so entschlussfreudig sein, und oft erlauben die Verhältnisse keinen scharfen Schnitt, der den Beginn eines neuen Lebens ermöglicht. Ich erwähne diesen Fall auch nur, um meine Auffassung zu unterstreichen, dass ein Medikament, selbst wenn es aus der Apotheke der Natur stammt, nicht eine notwendige Änderung des Lebensstils ersetzen kann.

Ich möchte dieses Kapitel mit einem Bild schließen: Stellen wir uns ein Schiff vor, das früher bessere Zeiten gesehen hat. Die Mannschaft ist bunt zusammengewürfelt, der Kapitän unerfahren. Vor dem Kap der guten Hoffnung gerät es in einen Sturm. Ob das Schiff untergeht oder nicht, liegt nicht allein am Kapitän und nicht allein an der Mannschaft, vieles andere spielt eine Rolle: der schlechte Zustand des Schiffes, der Druck, die Ladung bis zu einem festgesetzten Termin zu ihrem Bestimmungshafen bringen zu müssen. Vieles haben wir in der Hand, aber wir müssen in aller Bescheidenheit auch zugestehen, dass es Stürme gibt, die stärker sind als das beste Schiff, die beste Mannschaft und der beste Kapitän.


15 M Alter e.a. Multiple sclerosis and nutrition. Arch Neurol 1974; 31: 267-272.
16 Lauer K: The risk of multiple sclerosis in the USA in relation to sociogeographic features: factor analysis study. J Clin Epidemiol 1994; 47: 43-48

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